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Steppenleben

Aus: Der Schamanenstein, Menschen und Orte

Anfangs liegt bebautes Land an der Straße, die von Ulan-Ude nach Westen führt. Meliorationsgräben schließen rechteckige Felder ein. Dann folgt Weideland, teilweise hinter Lattenzäunen. Flache Bergzüge, die Ausläufer des Chamar-Daban, erstrecken sich in der Ferne. Einzelne Hügel rücken bis an die Straße heran. Sie sind von einer Mütze weniger Kiefern bedeckt oder völlig kahl. Besonders fällt ein grober Felsen auf, der wie eine Faust in seinem eigenen Abtragungsschutt versinkt. Die Farbe des Gesteins und der Erde ist Ockergelb bis Graubraun.

Leichte, an der Oberseite eigenartig zerrissene Haufenwolken hängen in einem hellblauen Himmel. Unter ihnen taucht ein Lämmergeier auf, der in weitem Bogen herangleitet. Durch die schmalen schwarzen Flügel und den langen, spitz auslaufenden Schwanz wirkt er schlank. Doch er ist sehr groß. Ich schätze seine Spannweite auf über zwei Meter.

Hat ihn die wimmelnde Schafherde angelockt, der wir bald darauf begegnen?

Ein Mann galoppiert auf seinem Pferd hinter den Tieren her und umrundet sie. Hier ist traditionelles Schafzuchtgebiet. Wir blicken dem Hirten nach, der mit seinem Pferd wie verwachsen ist.

„Es gibt einen alten Spruch“, sagt unser Begleiter. „Der beste Freund des Burjaten ist das Pferd; es verrät ihn nie.“ Ein bitteres Wort, von der an kleinen und großen Fehden so reichen Geschichte Zentralasiens geprägt; es kommt von einem Volk, das bis noch vor kurzem vorwiegend aus nomadisierenden Viehzüchtern bestand.

Hinter dem Dorf Iwolginsk, zu deutsch Kleiner Vogel, mit seinen sauberen, bunten Holzhäusern und seinen steinernen Amtsgebäuden wird die Landschaft öder und trockner. Auf einer ansteigenden Ebene verschwindet die Vegetation fast ganz. Nur alle paar Meter wächst aus dem Sandboden ein Büschel Salzkraut. Gobi nennen die Mongolen eine solche Wüstensteppe, unabhängig von deren geographischer Lage.

Hinter dem Dorf Iwolginsk biegen wir von der Straße ab. Aus dem Braun des Gerölls und dem Grün der Wiesen im Vordergrund leuchten weiße Mauern, bunte Dächer und goldener Zierat. Das ist das lamaistische Tempelkloster von dem man uns schon in Irkutsk erzählt hat.

1980

 

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