PROBEN Fleming unterwegs Aus: Das Verhängnis oder Die Liebe des Paul Fleming Das Schiff schwamm auf dem Kaspischen Meer, nachdem es sich von den Schilfinseln des Deltas gelöst und aus der verschlammten Uferzone befreit hatte. Fleming stand am Heck und suchte den Dunststreifen im Norden, in dem sich die Küste verbarg. Wie klein war der einzelne Mensch in der Welt. Ein Sandkorn in der Unendlichkeit der Landschaft, ein Gesicht im Getümmel der Menschen – so blieb dort seine Katja zurück. Er hatte den Duft ihres Haares gerochen, das Salz ihrer Haut geschmeckt, den fröhlichen und traurigen Worten gelauscht, die von ihren Lippen kamen, und in ihren Augen das Ungesagte gelesen. Noch immer schwebten sie vor ihm, die Augen, verdunkelt zum Schwarzgrün dieses Meeres und von Tränen feucht. Belogen hatte er sie, als er behauptete, es sei möglich, sein Herz nicht ganz und gar an einen Menschen zu hängen, der einem so zugetan war wie sie ihm und er ihr. Nichts hatten sie ausgekostet, nichts war genug, und nicht Mut zur Liebe, sondern Schmerz war ihnen geblieben. Dieser Schmerz büßte von seiner Schärfe dadurch nichts ein,
daß er ihn schon beim Abschied von anderen verspürt hatte, daß er sich wiederholte. Im Gegenteil. Es wurde schlimmer und schlimmer. Was verlor er. Was hatte er ihr angetan. Fleming
wußte, daß Katja nicht die Roxolane war, als die er sie sah – und doch war sie es, wenn auch auf andere, auf ihre, nicht auf seine Weise. Ihre Träume waren andere als die seinen. Was ihn an ihr bezaubert hatte, ihre Andersartigkeit, ihre Herkunft aus anderen Räumen und Zeiten, aus den Steppen des Ostens und den Verwicklungen ihrer Völker, würde ihn sicher auch bald entzaubert haben und ihm als Fremdheit entgegengetreten sein. Ach, und ihre herbe Vertrautheit, die um so mehr leistete, als der Graben breit war, der sie trennte... Fremd und vertraut, waren das nicht die beiden Pole der Liebe? Die Sonne brach aus den Wolken und warf ihr gleißendes Licht auf die unruhige Wasserfläche, die ihre Farbe veränderte, die blau wurde und zu glitzern begann. Fleming starrte auf den Seehund, der sich im Fahrwasser des segelnden Schiffes tummelte, und auf die schwebenden Vögel. Er bedeckte die Augen mit den Händen.
1983
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